Bei der Auswahl von Kosmetikprodukten – sei es für professionelle Behandlungen oder die tägliche Heimpflege – ist die Zusammensetzung eines der wichtigsten Entscheidungskriterien. Doch sowohl Kosmetolog:innen als auch informierte Verbraucher:innen stehen dabei täglich vor einem Dilemma: In der Werbung wird ein innovativer, äußerst wirksamer Wirkstoff angepriesen – doch in der Liste der Inhaltsstoffe scheint er nicht auf. Warum? Der Grund dafür ist das INCI-System – die International Nomenclature of Cosmetic Ingredients, ein standardisiertes Klassifikationssystem, das für die Kennzeichnung aller kosmetischen Produkte gemäß internationaler gesetzlicher Vorgaben verpflichtend ist.
In der modernen kosmetologischen Praxis ist die korrekte Interpretation der Zusammensetzung kosmetischer Produkte eine grundlegende berufliche Kompetenz. Aufgrund der wachsenden Diskrepanz zwischen Marketingnamen und regulatorischen Bezeichnungen aktiver Inhaltsstoffe wird die Fähigkeit, Kosmetiketiketten korrekt zu lesen, immer relevanter. Wer die Methodik der INCI-Analyse beherrscht, kann kosmetische Formulierungen objektiv bewerten, Werbeaussagen von der tatsächlichen Zusammensetzung unterscheiden und Produkte gezielt nach den Bedürfnissen der Kund:innen auswählen. Besonders wertvoll ist dabei die Fähigkeit, sowohl die Konzentration als auch die funktionelle Rolle jedes Bestandteils in der Rezeptur zu bestimmen.
Das Verständnis der Zusammensetzung ist somit der Schlüssel zur bewussten Produktwahl und zur fundierten Bewertung der Wirksamkeit.
Was ist INCI und wie liest man es?
INCI (International Nomenclature of Cosmetic Ingredients) ist die internationale Nomenklatur kosmetischer Inhaltsstoffe – das weltweit einzige standardisierte System zur Benennung der in Kosmetika verwendeten Substanzen.
Das INCI-System wurde Anfang der 1970er Jahre vom Personal Care Products Council (PCPC) (ehemals Cosmetics, Toiletries and Fragrance Association – CTFA) entwickelt. Heute umfasst die INCI-Liste mehr als 16.000 registrierte Inhaltsstoffe. INCI ist der verpflichtende Standard zur Kennzeichnung kosmetischer Produkte in den meisten Ländern der Welt, darunter die EU, die USA, Kanada, China, Japan und viele weitere Regionen. Mit wenigen Ausnahmen sind die INCI-Bezeichnungen international einheitlich.
Die Verpflichtung zur Verwendung von INCI-Namen beruht auf mehreren Faktoren:
- Gewährleistung von Transparenz und Verständlichkeit der Zusammensetzung für Verbraucher:innen, Fachpersonal und Aufsichtsbehörden
- Vereinheitlichung der Inhaltsstoffnamen unabhängig vom Herstellungsland
- Erleichterung der Identifikation potenzieller Allergene
- Förderung des internationalen Handels mit kosmetischen Produkten
Grundprinzipien für den Aufbau einer INCI-Inhaltsstoffliste
Der erste Schritt zur professionellen Analyse kosmetischer Formulierungen und zur Identifikation von Marketing-Übertreibungen besteht darin, die grundlegenden Prinzipien des INCI-Aufbaus zu verstehen.
Sprache
Die Inhaltsstoffe im INCI-System werden überwiegend auf Latein (für pflanzliche Bestandteile) und Englisch (für chemische Verbindungen) angegeben. Dies dient der Überwindung von Sprachbarrieren und stellt eine eindeutige Interpretation der Zusammensetzung in verschiedenen Ländern sicher. Gleichzeitig stimmen einige allgemein gebräuchliche englische Bezeichnungen mit ihrer INCI-Nennung überein – jedoch nicht immer. Zum Beispiel:
- Water – Aqua (lateinische Bezeichnung)
- Glycerin – Glycerin
- Chamomile Extract – Chamomilla Recutita Flower Extract
- Vitamin E – Tocopherol
- Jojobaöl – Simmondsia Chinensis (Jojoba) Seed Oil
- Aloe-vera-Blattsaft – Aloe Barbadensis Leaf Juice
Reihenfolge der Inhaltsstoffe
Die Liste der Inhaltsstoffe muss in absteigender Reihenfolge ihrer tatsächlichen Masseanteile im kosmetischen Produkt angegeben werden. Der erste Bestandteil auf der Liste ist somit in der höchsten Konzentration enthalten (meist Aqua oder Water). Die zuletzt aufgeführten Substanzen liegen in sehr geringen Mengen vor. Diese Regel gilt bis zur Konzentrationsgrenze von 1 %.
Inhaltsstoffe mit einer Konzentration unter 1 % dürfen in beliebiger Reihenfolge nach den höher konzentrierten Substanzen aufgelistet werden.
Konzentrationsgrenzen
Für die praktische Analyse der Zusammensetzung ist es – neben der Reihenfolge – auch wichtig, ungefähre Konzentrationsbereiche einschätzen zu können:
- Positionen 1–5 bis 7: typischerweise 3–50 % (Grundlage der Formulierung)
- Mittlerer Listenbereich: etwa 1–3 %
- Ende der Liste (nach der 1 %-Grenze): unter 1 %
Achtung! Einige Wirkstoffe sind bereits in minimalsten Konzentrationen hochwirksam und erscheinen daher am Ende der Liste:
- Peptide (wirksam ab 0,0001–0,1 %)
- Retinoide (häufig 0,01–0,5 %)
- Bestimmte Antioxidantien
- Konservierungsstoffe (meist 0,1–1 %)
- Duftstoffe (Parfum, Fragrance)
Deshalb spiegelt die Position eines Wirkstoffs auf der Liste nicht zwangsläufig seine Relevanz für die Wirksamkeit des Produkts wider. Viele stark beworbene Markenwirkstoffe finden sich am Ende der INCI-Liste – was ihre Wirkung jedoch nicht schmälert, sondern auf ihre Effizienz bei niedriger Dosierung hinweist.
Komplexität der Bezeichnungen
Die Komplexität der INCI-Namen hängt von der Beschaffenheit und chemischen Struktur der Inhaltsstoffe ab. Besteht eine Substanz zu mehr als 80 % aus einer einzigen Verbindung, ist ihre Bezeichnung meist einfach. Bei Mischungen mehrerer Verbindungen kommen hingegen komplexe Namen, Abkürzungen oder Kombinationen aus Namen und Zahlen zum Einsatz.
Zusätzliche Kennzeichnungen in der INCI-Liste
Bei der Analyse der INCI-Deklaration ist auf einige spezielle Kennzeichnungen zu achten:
- Sternchen (*) – weist häufig auf Inhaltsstoffe biologischen oder organischen Ursprungs hin
- CI + Nummer (z. B. CI 15985) – Farbstoffe gemäß der internationalen Colour-Index-Klassifikation
- Klammern – enthalten meist Hinweise zur Herkunft oder Spezifik eines Inhaltsstoffs
- Schrägstriche (/) – deuten häufig auf Mischungen mehrerer Komponenten hin
Marketingnamen vs. INCI-Bezeichnungen von Inhaltsstoffen
Die INCI-Bezeichnungen von Inhaltsstoffen sind international einheitlich geregelt und dienen der Kontrolle der Produktsicherheit kosmetischer Formulierungen. Gleichzeitig entstehen mit dem Fortschritt der Technologie und neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen immer komplexere Verbindungen. Die Kombination verschiedener Substanzen in biotechnologischen Komplexen erzeugt häufig synergistische Effekte. Doch die offiziellen INCI-Bezeichnungen dieser Komplexe sind für den kommerziellen Gebrauch und für Endverbraucher:innen oft zu kompliziert. Daher kommen sogenannte Marketingnamen zum Einsatz.
Marketing- oder Handelsnamen sind markenrechtlich geschützte Bezeichnungen für bestimmte Wirkstoffe oder Wirkstoffkomplexe, die von Rohstoffherstellern speziell für die Kosmetikindustrie entwickelt werden. Diese Namen dienen der Unterscheidung auf dem Markt, unterstreichen die Innovationskraft eines Produkts und stärken dessen Wiedererkennungswert. Beispiele hierfür sind:
- Idealift™ – Peptidkomplex zur Hautstraffung
- Pentavitin® – Komplex zur intensiven Feuchtigkeitsversorgung
- Argireline® – Peptid zur Reduzierung mimischer Falten
Hersteller von kosmetischen Rohstoffen kreieren solche Marketingnamen aus verschiedenen Gründen:
- Differenzierung im wettbewerbsintensiven Rohstoffmarkt
- Schutz des geistigen Eigentums
- Vereinfachte Kommunikation mit Kosmetikherstellern
- Aufbau einer starken Markenidentität
- Positionierung im Premiumsegment durch patentierte Technologien
Warum erscheinen Marketingnamen nicht in der INCI-Liste auf dem Produkt?
Wie bereits erläutert, schreiben die gesetzlichen Vorgaben in den meisten Ländern vor, dass auf Kosmetikverpackungen ausschließlich die standardisierten INCI-Namen der Inhaltsstoffe verwendet werden dürfen. Dafür gibt es mehrere Gründe:
Regulatorische Anforderungen
Kosmetikverordnungen – wie etwa die Technische Verordnung über kosmetische Mittel oder die EU-Verordnung Nr. 1223/2009 – verlangen die Verwendung einheitlicher INCI-Bezeichnungen, um Transparenz und Verbrauchersicherheit zu gewährleisten.
Komplexe Zusammensetzung kommerzieller Wirkstoffe
Die meisten Wirkstoffe mit Marketingnamen bestehen nicht aus einer einzelnen Substanz, sondern aus Komplexen mehrerer Inhaltsstoffe. Jeder dieser Bestandteile muss gemäß seiner Konzentration einzeln in der INCI-Liste angegeben werden.
Vielfalt kommerzieller Namen
Ein und derselbe Wirkstoff kann unter verschiedenen Handelsnamen vermarktet werden – je nach Hersteller. So steht z. B. Acetyl Hexapeptide-8 (INCI: Acetyl Hexapeptide-8) auch unter den Namen Argireline®, iPeptide AGE, PepG-Aceth 5, Cosroma® AH-8 u. a. im Umlauf.
Die Verwendung standardisierter INCI-Bezeichnungen verhindert Verwechslungen und ermöglicht eine einheitliche Kennzeichnung kosmetischer Produkte.
Wie findet man einen „versteckten“ Wirkstoff in einem Kosmetikprodukt?
Übereinstimmung zwischen Marketingnamen und INCI-Äquivalenten
Für professionelle Kosmetolog:innen ist es essenziell, Marketingnamen in die „INCI-Sprache“ übersetzen zu können. Dies gelingt auf mehreren Wegen:
- Offizielle Websites der Rohstoffhersteller – Unternehmen wie BASF, Lipotec, Bioalkemia und andere stellen in der Regel vollständige Informationen zur INCI-Zusammensetzung ihrer patentierten Komplexe bereit.
- Spezialisierte Datenbanken – Online-Plattformen wie UL Prospector, SpecialChem oder die CosIng-Datenbank der EU enthalten Zuordnungen zwischen Handels- und INCI-Namen.
- Wirkstoffdatenblätter – Diese Dokumente liefern detaillierte Angaben zu Zusammensetzung, Eigenschaften und empfohlenen Einsatzkonzentrationen eines Wirkstoffs.
- Rücksprache mit Lieferanten – Eine direkte Anfrage beim Hersteller oder Vertrieb eines Kosmetikprodukts kann klären, welche INCI-Bestandteile dem deklarierten Wirkstoff entsprechen.
Analyse der vollständigen INCI-Liste
Es ist wichtig zu verstehen, dass die Suche nach einem spezifischen Namen allein nicht ausreicht, um die Wirksamkeit eines Produkts zu beurteilen. Eine ganzheitliche Analyse der Zusammensetzung ermöglicht es:
- Synergistische Kombinationen von Inhaltsstoffen zu erkennen
- Das Gesamtkonzept der Formulierung zu verstehen
- Die ungefähren Konzentrationen der Schlüsselkomponenten abzuschätzen
- Zu bewerten, ob das Produkt den beworbenen Eigenschaften gerecht wird
Wie erkennt man, ob ein bestimmter Wirkstoff in der Formulierung enthalten ist?
- Direkte Suche nach dem INCI-Namen des Wirkstoffs oder seiner Einzelsubstanzen (bei biotechnologischen Komplexen).
- Suche nach funktionellen Äquivalenten: Wird z. B. Vitamin C angegeben, muss es nicht als Ascorbic Acid vorliegen, sondern kann in Form von Derivaten enthalten sein – etwa Sodium Ascorbyl Phosphate, Ascorbyl Glucoside usw.
- Analyse komplexer Wirkstoffe: Wenn etwa von einem „Liposome Complex“ die Rede ist, sollte man in der INCI-Liste nach Phospholipiden und verkapselten Wirkstoffen suchen.
Das Verständnis der Zuordnung zwischen Marketingnamen und INCI-Komponenten befähigt Kosmetolog:innen, fundierte Entscheidungen bei der Produktauswahl zu treffen – nicht basierend auf werbewirksamen Versprechen, sondern auf der realen Zusammensetzung und wissenschaftlich belegter Wirksamkeit der Inhaltsstoffe.
Biotechnologische Komplexe in den Produkten der Derma Series von Reneo Cosmetics
Eine korrekte INCI-Analyse ermöglicht es Kosmetolog:innen, nicht nur das Vorhandensein „trendiger“ Wirkstoffe zu erkennen, sondern das ganzheitliche Konzept einer Formulierung sowie deren Übereinstimmung mit den beworbenen Eigenschaften objektiv zu bewerten. Das ist weitaus wertvoller, als gezielt nach einzelnen Markenwirkstoffen zu suchen, die möglicherweise nur in minimalen, unwirksamen Konzentrationen enthalten sind.